Hofrichters neues „Das Mittelmeer“: Liebhaber der Haie werden auf ihre Kosten kommen!

Hofrichter Robert (Hrsg.), 2020: Das Mittelmeer – Geschichte und Zukunft eines ökologisch sensiblen Raums. Springer Spektrum, Heidelberg, ca. 1300 Seiten. ISBN 978-3-662-58929-8

Genauere Infos zum Werk hier
http://www.robert-hofrichter.com/2020/07/mittelmeer-ist-erschienen.html
hier mit dem vollständigen Inhalt
http://www.robert-hofrichter.com/2020/01/vollstandiges-inhaltsverzeichnis-von.html



Das neue „Das Mittelmeer“ von Robert Hofrichter (Hrsg.) ist Ende Juli 2020 auch als gedrucktes Buch erschienen! Und damit stehen den Lesern viele interessante Informationen über die bedrohten Haie und ihren aktuellen Status im Mediterran zur Verfügung. Dass wir die spannenden Themen mit ebenso spannenden Fotos bereichern konnten, verdanken wir einem führenden Kenner der mediterranen Haie, Dr. Alessandro de Maddalena. Grazie Alessandro!

Kurzflossen-Mako (Isurus oxyrinchus). Die Haie – Top-Prädatoren der Meere – zählen zu den am stärksten bedrohten Tiergruppen im Meer. Neben Thunfischen sind in den letzten Jahrzehnten gerade Haie (und auch Rochen, also Knorpelfische generell) zum Sinnbild der Überfischung und des Niedergangs mariner Ökosysteme geworden. Ihre Situation ist im Mittelmeer, doch leider nicht nur hier, prekär. Nach Informationen der IUCN (2016) gilt die Hälfte von 73 Arten von Haien und Rochen als stark gefährdet oder vom Aussterben bedroht. Artenschutzbemühungen greifen nicht, der Status vieler Spezies hat sich seit einem früheren Bericht aus dem Jahr 2007 noch verschlechtert (z. B. Weißer Hai, Riesenhai, Hammerhai). Überfischung – auch die illegale – ist der entscheidende Grund des Niedergangs der Populationen. Illegale Treibnetze sind eine der Ursachen hoher Mortalität. Foto: Alessandro de Maddalena.

Da wäre etwa der Klassiker „Form und Funktion verstehen: Lebensweise, Ökomorphologie und Verbreitung der Haie“ auf Seite 838 (von Prof. Alfred Goldschmid und Robert Hofrichter). Das gesamte Kapitel 9 (Ökologie – die Lebewesen und ihre Umwelt im Mediterran) ab Seite 788 bietet immer wieder spannende Informationen über Knorpelfische. Dr. Walter Buchinger von MareMundi informiert als Arzt über Methylquecksilber in Haien (Anorganisch wird organisch – Methylquecksilber (MeHg) und seine Auswirkungen, Seite 1 052). Gemeinsam mit Robert Hofrichter hat er auch aktuelle Daten zur Lage der Haie im Mediterran zusammengefasst (Bedroht oder Bedrohung? Haialarm auf Mallora, ab Seite 1 086). Recht spannend und aufschlussreich ist der Exkurs „Die Monster aus dem Meer: Widersprüche einer ambivalenten Mensch-Tier-Beziehung“ von Jan Gohla ab Seite 1 136.

Einige Fotos und Illustrationen zum Einstimmen:

Haiunfälle im Mittelmeer zwischen 1847 und 2017 nach verschiedenen Quellen (obere Zahlen, rot tödlich). „Haiunfall“ oder gar „Angriff“ klingen dramatisch, manchmal handelt es sich aber um relativ harmlose Zwischenfälle. Zuverlässigere Daten nach ISAF von 1580 bis Januar 2020 gibt die untere Zahl an (floridamuseum.ufl.edu). Dabei handelt es sich um bestätigte, nicht provozierte Unfälle. Die ISAF-Daten ermöglichen jedoch keine Unterscheidung zwischen tödlichen und harmloseren Unfällen. Länder mit einem weißen Haisymbol haben auch Küsten, die nicht zum Mittelmeer gehören. Wirklich zuverlässige Daten sind schwer erhältlich. Illustration: Das Mittelmeer (Hofrichter, 2020)

Schema der Zusammenhänge im marinen Nahrungsnetz nach visualcomplexity.com. Der triviale, oft vernommene, nicht selten unhinterfragte Satz „Alles hängt mit allem zusammen“ scheint im marinen Ökosystem nicht vermessen zu sein und die Realität gut widerzuspiegeln. Aus dem Mittelmeer sind an die 17 000 marine Spezies bekannt; unzählige Wechselwirkungen verbinden sie alle mit unzähligen anderen Arten. Eine besondere Rolle im Ökosystem spielen die Prädatoren und Top-Prädatoren, die oberste Spitze der Nahrungspyramide. Ihr Fehlen verändert das Ökosystem wesentlich tiefgreifender und dramatischer als das mancher winziger Planktonorganismen, da sie zu den sogenannten ökologischen Schlüsselarten zählen. Diese beeinflussen über zahlreiche Rückkoppelungen das gesamte Ökosystem. Illustration: Das Mittelmeer (Hofrichter, 2020)

Ein 6,20 m langer und 1 800 kg schwerer Weißer Hai (Carcharodon carcharias, Lamnidae) wurde 1906 in der oben beschriebenen Bucht von Bakar ge­fangen. Das Nahrungsangebot für diesen Top-Prädator der Weltmeere war damals wesentlich höher als heute (z. B. Thunfische, Delfine, Mönchsrobben, Schwertfische, Unechte Karettschildkröte u.a.). In der Nordadria liegen einige große Hafenstädte wie Rijeka (Fiume), Triest, Venedig und Pula. Ver­mutlich folgten die Haie den Schiffen. Direkt neben Rijeka liegt auch Abbazia (heute Opatija), ein mondänes Seebad der Donaumonarchie und heilklimatischer Kurort an der damals österreichischen Adriaküste. Die allermeisten historisch über­lieferten Unfälle mit Haien (auch tödliche) sind ausgerechnet in diesem nördlichsten Zipfel der Adria passiert. Die mediter­rane Subpopulation ist von der atlantischen isoliert; die ur­sprünglichen Besiedler sind vor 450 000 Jahren (vielleicht „irrtümlich“, weil sich die Meeresströmungen umgestellt ha­ben) aus australischen Gewässern eingewandert. Die IUCN gibt seinen Status als stark gefährdet (endangered) an, die mediterrane Population steht allerdings in der Roten Liste als vom Aussterben bedroht (critically endangered). Die Populati­onsgröße ist nicht bekannt, man geht von einem Rückgang von 80 % für die letzte Drei-Generationen-Periode (69 Jahre) aus. In den letzten 1 400 Jahren zwischen 476 u. Z. und 2015 hat eine Studie insgesamt 628 überlieferte Berichte über das Vorkommen dieser Art im Mittelmeer ermittelt. In 53 Fällen kam es zu Zwischenfällen mit Menschen, davon waren 42 Bis­se, von denen ein Teil tödlich endete. In einigen Fällen wur­den Überreste von Menschen im Mageninhalt gefangener Weißer Haie festgestellt. Die meisten Nachweise (auch Jung­tiere) stammen aus der Straße von Sizilien und der Adria. Nach 30 Jahren wurde 2018 ein Tier bei den Balearen gesich­tet.

Haie und Rochen (beide Knorpelfische, Chondrichthyes) sind bis auf ganz wenige Ausnahmen rein marin. Der Blauhai (Prionace glauca, Carcharhinidae) war einst im Mittelmeer bis hinein in die Nordadria sehr häufig – heute ist ein Anblick wie dieser sehr selten geworden. Er gehört im weltweiten Maß­stab zu den typischsten pelagischen Haien – ist also eine Art der Hochsee. Doch sterben allein als Beifang zwischen 10 und 20 Mio. Tiere. Zudem hat beispielsweise Spanien in den letz­ten Jahrzehnten den Fang von Blauhaien immer mehr intensi­viert. Der Rückgang der Populationen wird nach der IUCN im Mittelmeer in drei Blauhaigenerationen (30 Jahre) auf 78 – 90 % geschätzt. In den Roten Listen gefährdeter Arten wird die als near threatened (potenziell gefährdet) eingestuft, doch schlägt die IUCN für die Subpopulation des Mittelmeeres den Status critically endangered (vom Aussterben bedroht) vor. Foto: Robert Hofrichter.

Einige Aspekte der ökologischen Nische des Weißen Hais (Carcharodon carcharias) – des größten Raubhais der Gegenwart (a). Er ist im Mittelmeer und bis in die nördlichste Adria mit einer eigenen Population vertreten, die genetisch aus Australien stammt. Seine Morphologie und Physiologie sind das Ergebnis der Millionen Jahre andauernden Auseinandersetzung mit seiner Umwelt. Unzählige Generationen in der Ahnenreihe der Art mussten sich fortlaufend an die jeweiligen Bedingungen ihrer Umwelt adaptieren. Die Geschlechtsreife tritt spät ein (bei Weibchen erst nach über zehn oder sogar 15 Jahren; Angaben von über 30 Jahren sind umstritten), die Tragzeit kann mehr als ein Jahr dauern, die Anzahl der Jungtiere ist mit ca. zwei bis 14 gering und die Tiere sind mit bis über 70 Jahre langlebig (typische „Einnischung“ für einen Top-Prädator). Das Mittelmeer bot ihm bis in die moderne Zeit ideale Lebensbedingungen, u.a. Räume für die Fortpflanzung (z. B. zwischen Sizilien und Afrika) und eine Nahrunsgrundlage – früher hat es viel mehr größere Knochenfische wie Thune gegeben, ebenfalls Meeresschildkröten, Mönchsrobben und Kleinwale wie Delfine. Im Ökosystem reguliert der Weiße Hai die Populationen seiner Beutetiere, wird aber selbst, v.a. ausgewachsen (bis > 6,5 m) nur von wenigen anderen Lebewesen potenziell gefährdet (Pottwal, Orca bzw. Schwertwal). b) Wie mehrere andere Arten der Makrelenhaie (Lamnidae) sind Weiße Haie partiell endotherm. Bestimmte Blutgefäßnetze (retia mirabilia) dienen ihnen als Wärmetauscher. Die durch Muskelbewegung erzeugte Wärme kann im Körperinneren zurückgehalten werden, wodurch mehrere Organe bzw. Körperteile um bis zu 5 °C, der Magen bis 15 °C über die Temperatur des umgebenden Wassers gehalten werden können. Das macht diese auch in kälteren Gewässern vorkommende Haiart leistungsfähiger, selbst wenn sie sich in größeren Tiefen bis > 1 000 m aufhält und schnelle, warmblütige Beute jagt. c) Die nahezu kosmopolitische Verbreitung des Weißen Hais weltweit und im Mittelmeer; die dunklen Bereiche sind die Kernverbreitungsgebiete. Weiße Haie unternehmen transozeanische Wanderungen, nicht aber die mediterrane Population. Illustrationen: Das Mittelmeer (Hofrichter, 2020), Foto: Alessandro de Maddalena.


Und auch Freunde fossiler Haie, der Paläontologie und der marinen Erdgeschichte Mitteleuropas (Paratethys) werden auf ihre Kosten kommen. Fotos: Robert Hofrichter.

Fakten statt Geschichten: Souvenirladen auf Santorin. Haie und andere Lebewesen aus dem Meer – allerdings bereits tot. Kein Meeresfreund und Naturliebhaber, der diese Bezeichnungen auch verdient, kauft derartige Souvenirs! Foto: Robert Hofrichter.

Viel Spaß beim Lesen wünscht Dein/Ihr

Robert Hofrichter

mittelmeer@aon.at

http://www.robert-hofrichter.com



Das aufregendste Buch über den Mediterran seit Homers Odyssee ist erschienen!